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Schweiz im UNO-Sicherheitsrat Mit den Mächtigen an einem Tisch

Als Friedensvermittlerin, als Brückenbauerin, als Veranstalterin internationaler Konferenzen hat sich die Schweiz schon vielfach bewiesen. Neu ist, dass sie in den kommenden zwei Jahren als nichtständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat selber mitentscheidet über Krieg und Frieden.

Zwar ist das einflussreichste UNO-Gremium derzeit beim Ukraine-Krieg weitgehend gelähmt – wegen des russischen Vetos. Angesichts dieser Blockade wird jedoch gerne übersehen, dass der Sicherheitsrat weiterhin arbeitet – weit besser als seinerzeit im Kalten Krieg – und zu vielen Themen in vielen Konflikten Beschlüsse fasst. Etwa zum UNO-Engagement in Afghanistan oder in Haiti oder zur Verlängerung von Blauhelmeinsätzen. Eben erst verständigte er sich erstmals auf eine Resolution, welche die Militärjunta in Myanmar verurteilt und von ihr verlangt, politische Gefangene freizulassen.

Chancen für ein neutrales Land

Die aktuell grossen weltpolitischen Spannungen, die sich im UNO-Sicherheitsrat spiegeln, machen die Schweizer Mitgliedschaft anspruchsvoll. Sie bieten aber gerade einem neutralen Land, das keine eigenen Machtinteressen verfolgt, auch Chancen. Die Schweiz verfügt über eine hohe Glaubwürdigkeit am UNO-Sitz. Sie ist bestens vernetzt. Die Schweizer Botschaft bei der UNO in New York kann zwar nicht auf einen riesigen diplomatischen Apparat zurückgreifen, wie die Vertretungen grosser Mächte. Aber in Bundesbern finden sich durchaus Expertise und qualifizierte Diplomaten, die gerade für Themen wertvoll sind, mit denen sich die UNO befasst.

Es gibt also keinen Anlass für die Schweiz, die kommenden zwei Jahre im Fokus der Geopolitik zu fürchten oder sich kleinzumachen. Die Risiken für einen neutralen Staat im Sicherheitsrat werden deutlich überschätzt. Auch andere neutrale Staaten – in jüngster Vergangenheit etwa Irland oder Schweden – spielten eine überaus positive Rolle in New York.

Schliesslich geht es nicht darum, sich reflexartig der Haltung mächtiger Staaten oder Staatengruppen anzuschliessen, nicht der EU-europäischen, nicht der amerikanischen, nicht der russischen oder der chinesischen. Die Schweiz orientiert sich vielmehr und richtigerweise nicht an Ländern, sondern an Prinzipien: am Völkerrecht, an den Menschenrechten, an den Genfer Konventionen. Sie wird also nicht etwa pro-USA abstimmen, sondern, wenn schon, pro-Völkerrecht. Gewiss, Druckversuche wird es geben. Doch erfahrungsgemäss nehmen sie im Lauf der Zeit ab, wenn ein nichtständiges Mitglied beweist, dass es sich nicht vereinnahmen lässt.

Die Schweiz kann sich nützlich machen

Die Schweiz muss sich von nun an zu Dutzenden von grossen Konfliktthemen rasch positionieren. Tempo war bisher keine hervorstechende Eigenschaft der Schweizer Politik. Der Bundesrat wird sich künftig zu Sondersitzungen treffen müssen, wohl meist virtuellen, wenn wichtige Beschlüsse anstehen über Sanktionen oder den Einsatz von Friedenstruppen.

Auch gilt es, das Parlament einzubeziehen – via den aussenpolitischen Kommissionen. Aber das ist lernbar und machbar. Und selbst im Sicherheitsrat fallen Schlüsselentscheidungen selten binnen Stunden. Auch andere UNO-Delegationen müssen das Plazet ihrer Regierungen einholen.

Die Aussichten für eine erfolgreiche Präsenz im UNO-Sicherheitsrat sind also intakt. Die Schweiz kann sich nützlich machen. Und im besten Fall sogar etwas bewegen, sofern sie sich realistische, also bescheidene Ziele setzt.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 3.1.2023, 18:00 Uhr

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