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Ein Tag mit ESC-Helferinnen «Ich kann gut Gas geben»: Die Heldinnen hinter dem Glitzerevent

Für einen Mega-Event wie den ESC braucht es hunderte helfende Hände. Unsere Autorin hat eine Freiwillige, einen Taxifahrer und ein Awareness-Team begleitet.

Dorothee Müller-Ristig strahlt. Sie hat soeben ihre erste Führung in der St. Jakobshalle gegeben. Niemals hätte sie gedacht, dass sie einmal im Showbiz landen würde. «Manchmal habe ich ein bisschen Angst bekommen vor meiner eigenen Courage», sagt sie.

Es ist Dienstagvormittag, der Tag des ersten ESC-Halbfinals. Allmählich schiebt sich die Maisonne hinter einer grauen Wolkendecke hervor. Am Abend findet eine weitere Generalprobe vor Publikum in der Eventhalle statt. Journalisten checken davor ihre Funkmikrofone.

Person mit Brille und blauem 'Eurovision'-T-Shirt vor blauem Hintergrund.
Legende: Dorothee Müller-Ristig ist Freiwillige beim ESC in Basel und gibt in der St. Jakobshalle Führungen für verschiedenste Gruppen. SRF/Hannah Krug

Erste Fans mit Länderfahnen um den Hals und Glitzer im Gesicht sitzen auf den Stufen vor dem gegenüberliegenden Shopping-Center. Smartphones, Bierdosen und Burgerpapier in den Händen.

Dazwischen: Müller-Ristig und andere Freiwillige, Security, Polizei, BVB-Mitarbeitende, Wurstverkäuferinnen, Taxifahrer.

Tourguide: «Mein Skript gebe ich nicht aus der Hand»

Sie alle werden mal mehr, mal weniger für ihre Arbeit bezahlt. Manche ergreifen wie Müller-Ristig die Chance, Puzzleteil eines Mega-Events zu werden. Andere machen einfach ihren Job oder hoffen auf den grossen Umsatz.

Bühne des Eurovision Song Contest Basel 2025 mit Publikum.
Legende: Die ESC-Bühne in der Basler St. Jakobshalle erstrahlt mit ihren imposanten LED-Bergen – natürlich – mit Schweiz-Branding. Ganz unter dem Motto «Welcome Home!» KEYSTONE/Georgios Kefalas

Allen gleich ist, dass ihrer Arbeitsrealität im ganzen Pomp und Glitzer dieser Tage wenig Aufmerksamkeit erfährt. Doch ohne sie könnte dieses perfekt orchestrierte Grossereignis nicht eine «schampar glatti Zit» für alle sein, wie es sich der Basler Regierungspräsident Constantin Cramer (LDP) wünscht.

Müller-Ristig hat sich bei ihrem Arbeitgeber Novartis die ganze Woche freigenommen, um ehrenamtlich beim ESC zu helfen. Insgesamt 700 Freiwillige aus 33 Nationen haben sich mit ihren Bewerbungen durchgesetzt. Müller-Ristig schrieb darin: «Ich kann gut Gas geben und auf Leute zugehen.» Dann kam der Anruf, ob sie nicht als Tourguide in der St. Jakobshalle arbeiten wolle.

Freiwillige packen blaue Euro-Motivbeutel in einer Halle.
Legende: 2. Mai: Das Material für die freiwilligen Helfer des 69. ESC wird verteilt. Die Volunteers sind während des Events in und vor der St. Jakobshalle unterwegs – und durch ihre himmelblauen Outfits leicht erkennbar. KEYSTONE/Georgios Kefalas

«Ich habe hier ein Skript, das gebe ich nicht aus der Hand», sagt Müller-Ristig und wedelt mit einem Schlag eng bedruckter Blätter.

Den ESC schaute sie bisher mehr aus Gewohnheit als aus Interesse für Pop und Hype. Warum dann ihre Bewerbung? «Ich bin schon älter. Ich dachte: Komme ich da überhaupt noch an?» Die 60-Jährige lacht, unsicher wirkt sie nicht. «Sie reden ja immer von Diversity und Inklusion. Da habe ich mich gefragt, wird das wirklich gelebt?»

Müller-Ristig berührt das Vertrauen in ihr Können. Sie geniesst hier jeden Tag. Die schiere Grösse des Events, die gute Laune bei den Mitarbeitenden, alle sind freundlich zueinander. «Hier wird ESC wirklich gelebt», sagt sie. Der ESC ist ihr persönlicher Neuaufbruch: Raus aus der Routine, hinein in ein glamouröses Abenteuer.

Die zehn Franken für den Parkplatz jeden Tag, die Urlaubstage, der morgendliche Stau: Für sie stellt der Aufwand kein grösseres Problem dar. Auch, dass sie als Freiwillige kein Ticketvorrecht auf eine der Shows hat, stört sie nicht. Heute Abend müsse sie sich einfach beeilen, nach Rheinfelden zu kommen, um pünktlich für das erste Halbfinale einschalten zu können.

Taxifahrer: «Bei nicht ausgelasteten Hotels verlieren auch wir»

Freiwilliges Engagement kann sich Zeynel Altun hingegen kaum leisten. Während der ESC-Woche wartet er in seiner Taxi-Limousine wie gewohnt gegenüber des Hotels Viktoria am Bahnhof SBB. Auch heute. Gerade kommt er vom Dreispitz zurück.

Mann mit formeller Kleidung steht neben schwarzem Taxi-Van.
Legende: Zeynel Altun ist mit seiner Taxi-Limousine unterwegs und kutschiert ESC-Fans quer durch Basel. SRF/Hannah Krug

Altun trägt ein weisses Hemd und eine gemusterte Krawatte. Das ergraute Haar ist zur Seite gegelt. Eine seiner Regeln lautet: Sei immer rasiert. «Ich akzeptiere Taxifahrer mit Bart nicht!» Eine andere erfahre ich, als wir im Auto sitzen. Altun öffnet einen Kühlschrank zwischen uns. «Cola?», fragt er. Und meint: «Das muss es zukünftig in allen Taxis geben».

Wir passieren die Elisabethenstrasse und steuern den Badischen Bahnhof an. Doch bei der Gewerbeschule hält Altun plötzlich an, steigt aus und läuft auf eine schwer bewaffnete Polizistin zu. Sie spricht nur Französisch. Auf Englisch und mit viel Gestik gibt er ihr zu verstehen, dass er gerne auf den Messeplatz fahren möchte. Die Beamtin schaut ihn ruhig an. «No.» Altun entscheidet dann, dass wir stattdessen beim gegenüberliegenden Hotel Hyperion auf Kundschaft warten.

Alternatives Geschäftsmodell

Altun ist auf die Basler Hotels nicht gut zu sprechen. Sie sind aufgrund der hohen Preispolitik derzeit nur zu 85 Prozent ausgebucht. «Dann verlieren auch wir Taxifahrer, weil wir weniger Hotelgäste fahren.» Sogar der Verband Hotellerie Suisse Region Basel riet kürzlich dazu, es mit den Preisen nicht zu übertreiben.

Für die Allzeitsorge – Konkurrenz von Uber und Bolt – hat der erfahrene Geschäftsmann bereits eine Lösungsidee im World Wide Web lanciert: Mit einer provisorischen Webseite auf Englisch will er ESC-Gäste aus dem Ausland erreichen, die über Suchmaschinen nach Taxis in Basel suchen. Auf seinem Smartphone zeigt er mir den WhatsApp-Button, mit dem Kunden ihm direkt eine Anfrage zukommen lassen können. Tatsächlich erscheint seine Webseite bei meinem Google-Test recht weit oben.

Auf dem Weg in die Altstadt muss Altun einmal scharf bremsen, die Party-ESC-Tram hat Vorfahrt. Ein bisschen ärgert es Altun, dass ESC-Ticketinhaber kostenlos Bus, Tram und S-Bahn nutzen dürfen. Alles schlecht fürs Geschäft. Dennoch will er sich nicht beklagen, die Gäste geben grosszügig Trinkgeld.

Awareness-Team: «Alle haben das Recht, zu feiern»

Altun lädt mich am Barfüsserplatz ab, der jetzt «Eurovision Square» heisst. Von der grossen Open-Air-Bühne ertönt Chorgesang. «Klassik & Crossover Day» heisst das Motto an diesem Tag. Ein bisschen von allem. Das strahlt auch das Publikum aus.

Einzelne an ihren fantasievollen Outfits leicht erkennbare ESC-Fans streunen herum. Doch es sind vor allem Einheimische, die sich hier auf den Stufen niedergelassen haben, für Essen anstehen und vorsichtig zur Musik wippen.

Zwei Männer in bunten Anzügen und Sonnenbrillen bei Festival.
Legende: Mit schrillen Outfits, jeder Menge Glitzer und teils unübersehbarem Nationalstolz zeigen ESC-Fans in Basel Flagge und feiern ihre Stars mit voller Leidenschaft. KEYSTONE/Georgios Kefalas

Eine solche Gemengelage ist für die beiden Sicherheitspersonen Lou Keller und Sven Jöhr während ihrer Arbeit beim ESC oftmals sehr herausfordernd. «An diesen öffentlichen Orten mischen sich viele Menschen. Hier kann man Leute nicht so einfach verweisen», sagt Lou Keller. Keller macht seit zehn Jahren Awareness-Arbeit und arbeitet seit knapp zwei Jahren beim Berner Sicherheitsdienst «Taktvoll».

Zwei Personen in pinken Westen neben einem Schild mit der Aufschrift 'Here You Are Safer'.
Legende: Sven Jöhr und Lou Keller sorgen am Barfüsserplatz und in der Steinenvorstadt dafür, dass beim ESC in Basel alle sicher feiern können – mit wachem Blick, guter Laune und vier offenen Ohren. SRF/Hannah Krug

Zusammen mit Security, Polizei und Militär kümmern sie sich um die hohen Sicherheitsanforderungen des ESC. Keller und Jöhr ziehen sich eine magentafarbene Warnweste über. In ihren Ohren steckt ein durchsichtiger Stöpsel, den sie nochmals kontrollieren. Darüber sind sie mit der Einsatzzentrale verbunden. Es ist 18 Uhr, Schichtbeginn.

Solange es noch hell ist, heisst es, sich auf dem Platz und in der Steinenvorstadt einen Überblick zu verschaffen. Wo sind dunkle, abgelegene Ecken, die sie nachts regelmässig aufsuchen sollten? Wo sind die Sanitäter stationiert, wo liegt das nächste WC? Mit den Warnwesten werden sie alles gefragt.

Menschenmenge auf einer Veranstaltung, Mann in pinker Weste im Vordergrund.
Legende: Viel Trubel, viele Menschen, viele Eindrücke – das Awareness-Team behält den Überblick, zeigt Präsenz und gibt Auskunft. SRF/Hannah Krug

Ein grosser Teil ihrer Arbeit ist es, Präsenz zeigen. Je mehr Leute von ihnen wissen, desto grösser die Chance, dass andere mitwirken und etwas melden.

«Alle haben das Recht zu feiern», sagt Lou Keller. Lou merkt schnell den teilnahmslosen Gesichtsausdruck einer Person oder Situationen, in denen sich Spannung aufbaut. Manchmal spricht Lou Leute gezielt an, manchmal reicht ein Daumen hoch oder runter, manchmal alarmiert Lou Blaulichtleute. Die beiden Sicherheitspersonen hoffen auf eine ruhige Schicht, die heute um 4 Uhr endet.

Helfer im Safespace: «Es kann schnell mal eskalieren»

Basel hat beim Schweizer ESC-Comeback nicht an Superlativen gespart. Die Stadt rollte den längsten türkisen Teppich der ESC-Geschichte aus. Zum ersten Mal wird das grosse Finale im Fussballstadion übertragen. Etwas unter den Radar fällt hingegen das umfassende Hilfskonzept für Betroffene von Übergriffen. Erstmalig gibt es beim ESC ein Zusammenspiel aus mobilen Patrouillen, einer 24/7-Hotline und Safer Spaces.

An solch einer geschützten Anlaufstelle, in einem Lokal am Kopf der Barfüssergasse, ist Beat John im Einsatz. Sein Blick ist offen und zugewandt. Das ist wichtig, denn hier sollen alle, die sich während des ESC bedrängt oder überwältigt fühlen, Zuflucht finden können.

Person steht neben mit Regenbogenflagge bedecktem Tisch in Bar.
Legende: Beat John arbeitet bei der geschützten Anlaufstelle der Opferhilfe – ein ruhiger Ort mitten im Trubel, an dem Menschen Unterstützung finden, wenn sie sie brauchen. SRF/Hannah Krug

Über einen sicheren Ort kann John, der die Opferhilfe beider Basel leitet, viel sagen: «Es ist ein transparenter Ort, ein beleuchteter Ort. Ein Ort, wo man einfach sein kann und wo man mit einem reden kann, der einen versteht und hilft.»

Manchmal möchte jemand sein Handy laden. In den Rückzugsräumen gibt es Ladekabel, aber auch Decken und Traubenzucker. Andere erleben einen Übergriff. Dann warten hier Profis mit Trauma-Ausbildung, die Betroffenen zuhören, mit ihnen sprechen und sie über rechtliche Schritte informieren. Am Ende entscheiden die Betroffenen jedoch selbst, viele wollen weiterfeiern.

Die Aufregung beim ESC ist gross, Stimulierung jeder Art ist immerzu verfügbar. «Es kann schnell eskalieren, weil man unter einer so grossen Spannung steht», sagt John. Eine seit Stunden vorfreudig in der Schlage wartende Person könne schnell etwas Falsches sagen, wenn sich jemand vordrängelt. «Da passiert schnell eine Grenzverletzung.»

Doch John ist guter Dinge. Die Polizeipräsenz vermittle Sicherheit. Er weiss aber auch, dass Menschen, die belästigt worden sind, sich damit eher nicht an Polizisten mit Maschinengewehren wenden. Das sei der Job der Opferhilfe und er hofft, dass sein Team nach dem ESC bei weiteren Grossveranstaltungen präsent sein wird.

Alle profitieren vom ESC

Der Kanton Basel-Stadt (mit knapp 40 Millionen Franken) und die SRG (mit 20 Millionen Franken) lassen sich den ESC etwas kosten. Alle wollen davon profitieren – auch die Freiwilligen und Dienstleister.

John erhofft sich vor allem mehr Sichtbarkeit für seine Arbeit. Müller-Ristig erfährt eine unerwartete Wertschätzung, kann sich persönlich herausfordern. Für Altun ist der ESC ein Booster für sein bescheidenes Einkommen. Sie stemmen mit ihrer oft unsichtbaren Arbeit die grösste Unterhaltungsshow der Welt.

Verfolgen Sie das Grand Final: 17. Mai um 21 Uhr.

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SRF 1, Eurovision Song Contest – Semi Final 2, 15.5.2025, 21 Uhr

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