«Leute, it’s over. Das Internet. Es ist vorbei.» Die Podcasterin Salwa Houmsi bringt ein Gefühl auf den Punkt, das viele schon länger mit sich herumtragen: dass das Netz gerade kippt. Die «Welt» hat bereits einen Nachruf auf das Internet verfasst, die «Zeit» fragt, ob Social Media sterben, und selbst wer die «Dead Internet Theory» nicht kennt, versteht die Botschaft.
Houmsi reagiert auf den Fall «Papaplatte»: Der deutsche Streamer hatte sein Gesicht auf der neuen hyperrealistischen KI-Super-App «Sora 2» hochgeladen und anderen Usern zur Verfügung gestellt. Binnen kürzester Zeit überschwemmten tausende Clips von ihm die Feeds: wie er sich in eine Gurke verwandelt, einen verbotenen Gruss zeigt (KI halt) und weiterer Schrott. Zu 50 Prozent soll das Internet bereits aus KI-generierten Inhalten bestehen.
Zwei Kommentare unter Houmsis Video bringen das aktuelle Dilemma auf den Punkt. Der eine fragt, ob ihr Tiktok-Video nicht selbst KI sei. Der andere: «Hab schon gemerkt, wenn ich mehrere KI-Videos hintereinander bekomme, mache ich oft das Handy aus, weil ich keinen Bock mehr habe.»
Vergeht uns wegen der KI tatsächlich die Lust am Internet, sodass sich unsere Smartphone-Sucht demnächst von selbst erledigt?
KI partout
Die KI nervt. Allein die ganzen Schlagzeilen: KI dies, KI das, KI Ananas.
Das eigentliche Problem ist aber der ganze «KI-Slop»: Posts, Videos, Songs, Schauspieler oder ganze Websites. Alles synthetisch. Youtube, Tiktok und die Google-Suche quellen förmlich über.
«Slop» steht für Schweinefutter oder Abfall: massenhaft, schnell und billig produziert, ohne erkennbare Herkunft mit minimalem menschlichem Input. Statt Mästung sind das Ziel Likes, Shares, Kommentare. Und mit Tools wie «Sora 2» wird es immer schwieriger, diesen Auswurf ohne Qualitätskontrolle oder Faktencheck von «echten» Inhalten zu unterscheiden.
Der «KI-Slop»: Von Shrimp Jesus bis hin zu Fake-Todesmeldungen
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Bild 1 von 10. Alles nur geklaut? Das angebliche Überwachungsvideo von Open-AI-Boss Sam Altman war ein KI-Fake – und der Startschuss für den «Sora»-Hype. Der Clip wurde millionenfach angesehen. Bildquelle: Screenshot X/@GabrielPeterss4 (KI-generiert).
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Bild 2 von 10. Der verstorbene Stephen Hawking beim Skateboarding? «Sora» machts möglich. Manche Videos gehen wohl auch viral, weil sie Menschen irritieren. Die Nachlassverwaltung von Martin Luther King liess ähnliche Deepfake-Videos wegen Pietätlosigkeit verbieten und erzwang eine neue Handhabe durch OpenAI. Bildquelle: Screenshot Instagram/ @Matapng (KI-generiert) .
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Bild 3 von 10. Schöpfung im KI-Zeitalter: Mit «Shrimp Jesus» begann der «Slop» – religiöse Motive, surreal vermischt, für maximale Aufmerksamkeit. Bildquelle: Screenshot Facebook/@Love God & God Love You (KI-generiert) .
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Bild 4 von 10. Sie altert nicht, verlangt keine Gagen, braucht keinen Schlaf: Am Zurich Film Festival 2025 wurde erstmals eine vollständig KI-generierte Schauspielerin vorgestellt: Tilly Norwood. Ob ihre Filme top oder «Slop» sind, muss sich erst noch zeigen. Bildquelle: Particle6 (KI-generiert).
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Bild 5 von 10. KI-Musik flutet Spotify & Co.: mit bis zu 50'000 neuen KI-Songs pro Tag. Bands wie «The Velvet Sundown» erreichen Millionen von Streams. Spotify-CEO Daniel Ek sieht in der KI einen Kreativitätsbooster. Bildquelle: Instagram/@thevelvetsundownband (KI-generiert).
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Bild 6 von 10. Fake-Todesmeldungen sind zu einem neuen Content-Genre herangewachsen, so wie auf diesem Youtube-Account. Alle Inhalte wurden für maximale Dramatik und Engagement erstellt. Natürlich von einer KI. Bildquelle: Screenshot YouTube/@Daily Home News (Bilder KI-generiert).
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Bild 7 von 10. Kennen Sie zufällig Hellene von Waldgraben? Laut Amazon hat die Autorin allein im Jahr 2024 164 Bücher herausgebracht. Respekt! Das Netz nennt sie charmant: «KI-Autorin». Bildquelle: Screenshot Orell Füssli.
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Bild 8 von 10. Verdächtige Wortwahl in der Wissenschaft? Ein Londoner Bibliothekar fand einen sprunghaften Anstieg bei bestimmten Wörtern wie meticulously (+137 Prozent), intricate (+117 Prozent), commendable (+83 Prozent). Sogar bei Peer-Reviews, die wissenschaftliche Qualität sicherstellen sollen, wird auf Sprachmodelle zurückgegriffen. Also alles «Slop»? Bildquelle: Imago/Imagebroker.
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Bild 9 von 10. Der KI-«Slop» fürs echte Leben: Die «Willy Wonka Experience» in Glasgow: Mit KI-generierten Fantasiebildern und absurden Texten wie «a pasadise of sweet teats» wird eine Erlebniswelt in einer kahlen Lagerhalle beworben. Bildquelle: Willyschocolateexperience; SWNS (linkes Bild KI-generiert) .
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Bild 10 von 10. Fotorealismus oder abstrakte Kunst? Dieses Bild wurde mithilfe von Googles KI «Nano Banana Pro» erstellt. Bildquelle: Screenshot X/@gooside (KI-generiert).
KI-Müdigkeit ist real
Interessant daran: Menschen erkennen Menschliches schneller und intuitiver als jede Maschine. Wir spüren Timing, Unsauberkeit, Atem, Intention. Und reagieren teils allergisch auf synthetische Inhalte. «Echtheitsreflex» nennt das die Forschung.
Lara Wolfers ist Professorin am Lehrstuhl für «Digitales Lives» der Universität Basel. Sie erklärt, dass insbesondere ein Video, das total süss oder rührend erscheint, sofort seinen Charme verliere, wenn wir merken, dass es KI-generiert ist. «Und dann fühlt man sich manipuliert. Ich glaube, dass das das Gefühl ist, was gerade sehr unangenehm ist online.»
Genau das macht das Scrollen heute anstrengend. Das Gehirn prüft immer häufiger, ob ein Clip echt ist und das Gesehene stimmt. Eingebaute KI-Markierungen in der Content-Beschreibung werden in den 15 Sekunden meist gar nicht wahrgenommen. Eine gesetzliche KI-Kennzeichnungspflicht gibt es in der Schweiz nicht einmal.
Der Verhaltenspsychologe Daniel Kahnemann unterscheidet zwischen zwei Systemen des Denkens. «System 1» ist der Autopilot, der mühelos durch Katzenvideos gleitet, Reize blitzschnell verarbeitet und gern nach sofortiger Belohnung greift. «System 2» dagegen ist das prüfende, langsame Denken, das viel Energie frisst und nur anspringt, wenn es muss.
Genau das passiert bei hyperrealistischem KI-Content: Sie sind wie ständige Mini-Tests. Doch unser Hirn hat keine Lust auf den Dauerbetrieb von «System 2». Wenn Scrollen zunehmend anstrengt, so die Logik, wird es plötzlich energieschonend, das Handy wegzulegen.
Auch ein sozialer Aspekt trägt entscheidend dazu bei, dass der Abgesang auf das Internet ausgerufen wird. Masslos viel Zeit online zu verbringen, ist nicht mehr cool. Analoge Events und Tätigkeiten erleben ein Comeback.
Die Oxford University Press deutete diesen Stimmungswandel an, als sie «Brain rot» zum Wort des Jahres 2024 kürte. Der Begriff für die geistige Ermüdung durch endloses Doomscrolling beschreibt die wachsende Ernüchterung gegenüber Social Media.
Aus dieser Mischung entsteht ein naheliegender Reflex: Es reicht. «Wir sind an einem Punkt, wo wir merken, dass wir so lange scrollen, dass man keine Zeit mehr hat, die Dinge zu tun, die man eigentlich machen wollte», bestätigt auch Lara Wolfers diese Eingebung.
Theoretisch ist die Rechnung simpel: Der Feed ist voller «Slop», der ist anstrengend, also hören wir auf, ihn zu konsumieren.
Nur sind wir eben kein perfekt-rationaler Homo oeconomicus, sondern Wesen mit einem empfindlichen Dopamin-Haushalt. «Slop» ist darauf ausgelegt, genau diesen zu bedienen: mit Schock, Ekel, Übertreibung, groteskem Humor und absurden Wendungen. SRF-Digitalexperte Guido Berger vergleicht unseren Content-Konsum mit Junkfood: «Wir wissen, dass vieles davon uns nicht guttut – trotzdem greifen wir zu.»
Aussteigerwunsch
Berger sieht derzeit keine belastbare Datengrundlage für eine Diskussion über ein massenhaftes Abwenden von Social Media und schon gar nicht fürs gesamte Internet. Viel zu gross und umfassend. Dank dem Digital Services Act könnte es aber zumindest bald Zahlen zur Nutzung geben.
«Ich befürchte, dass viele Artikel, die man aktuell so liest, ein Wunschdenken ausdrücken», sagt Berger. Gestorben sei höchstens der öffentliche Austausch: «Die unendliche Menge von Content, deren algorithmische Kuratierung und die Fragmentierung der Plattformen führen dazu, dass es kaum noch gemeinsames Erleben gibt.»
Wenn, dann sei eine Verschiebung auf Messenger, Gruppen-Chats und geschlossene Communities wahrscheinlicher, so Berger. Nur sei dieser Bereich «komplett unreported». Würde aber bedeuten: Wir sind nicht weniger online, wir sind anders online. Und wir schalten daher auch nicht notwendigerweise ab, eher um.
Gäbe es eine echte, nachweisbare und nachhaltige Aversion gegen KI-Content, die grossen Plattformen wären die ersten, die den Algorithmus justieren würden. Stattdessen bauen sie fleissig KI-Features in die Baukästen ihrer Apps.
«Wir generieren noch immer Daten: was uns gefällt, wann wir länger dranbleiben und wann wir früher aufhören. Daraus lernt ein Algorithmus», gibt Lara Wolfers zu bedenken. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir KI-Contents teils besser finden als die menschengemachten, weil sie in für uns gefälligen Mustern geschaffen werden und somit weniger anstrengend sind.
Tatsächlich haben wir uns schon längst an die Künstlichkeit und unendliche Fülle des Internets gewöhnt. Instagram war ein wichtiger Wegbereiter mit seinen perfekt kuratierten Leben. Der Grossteil der privaten User auf Social Media hat auch nicht erst seit dem Aufkommen des KI-«Slops» aufgehört, selbst zu posten. Die grossen Plattformen dienen schon lange nicht mehr der Verbindung, sondern dem Entertainment. Dass die Leute im Internet seltener aktiv sind, bedeutet nicht, dass sie weniger darauf zugreifen.
Die «Family & Friends»-Ära wurde abgelöst von der «Interest»-Ära professioneller Creators. Nun folgt eben die «Slop»-Ära: Die KI automatisiert, was wir vorher auch getan haben, und bringt es bis zum logischen Ende.
Möglicherweise wird KI-Content auch zu einer eigenen Kategorie, sagt Lara Wolfers: «Zeichentrick ist auch nicht menschlich, und den finden wir auch unterhaltsam und wir können mitfühlen.» Wenn er gut gemacht sei und nicht vorgibt, etwas anderes zu sein, könne er auch neue Narrative schaffen.
Willkommen im Wilden Westen
Derzeit herrscht aber eher noch eine Art Wild-West-Goldgräberstimmung. Denn die Regeln des Umgangs mit der KI sind noch nicht genau festgelegt. Das wird sich ändern.
Für Guido Berger ist die «Slop»-Ära eine Übergangsphase hin zur Hyperpersonalisierung aller Inhalte, wo durch die Möglichkeiten der KI jedem wirklich eigene Contents ausgespielt werden. Der Traum aller Werbetreibenden. «Viel von dem schlechten Content, den wir aktuell sehen, sind ganz einfach Versuchsballons, die fast nichts gekostet haben und oft auch gar nicht ankommen.»
Die langfristigen Folgen der mangelnden Authentizität und minderwertigen Informationen sind noch schwer abzusehen. «Mit neuen Innovationen entstehen auch neue Nutzungsmuster», sagt Lara Wolfers, «ich sehe aber gerade noch nicht, dass das ein Nutzungsmuster ist, das weniger Zeit online verbringt.»
Fest steht jedoch, dass wir durch die hyperreelle KI immer mehr abwägen müssen, ob etwas der Wahrheit entspricht oder nicht. Wir nähern uns einem «Zeitalter der Plausibilität». Die entscheidende Frage lautet nicht mehr: «Ist das wirklich passiert?», sondern nur noch: «Ist das, was ich da sehe, plausibel?» Und um dies zu bewerten, ist es sicher hilfreich, «das Echte» zumindest gekannt zu haben.
Gemeinsame Basis verloren
Wir bleiben aber wohl vorerst online. Abschalten ist möglich, biologisch wie ökonomisch jedoch unwahrscheinlich.
Was würde uns wirklich dazu bringen? Vermutlich nur eine Technologie, die das Belohnungssystem aushebelt und den impulsiven Autopiloten von «System 1» dauerhaft vom Thron stösst. Aber wäre das wünschenswert?
Möglicherweise bringt die heranwachsende Generation, die schon viel früher mit dem Sog-Problem konfrontiert ist, mehr Selbstkontrolle und Kompetenz mit, um damit umzugehen, sagt Lara Wolfers. Apps, die die Konsumzeit limitieren, erfreuen sich bereits wachsender Beliebtheit.
Die Vorstellung eines kollektiven Abschaltens ist aber vor allem ein Stimmungsbild einer bestimmten Bubble, befindet Guido Berger – ein Trend, den in einem derart fragmentierten Internet viele wohl nicht einmal mitbekommen haben.
Und hier schliesst sich der Kreis zur Podcasterin Salwa Houmsi. Ihre Sorge gilt weniger dem Ende des Internets als der Frage, ob dieser Ort noch «unserer» ist. Der KI-«Slop» zwingt uns nicht offline, aber er löst das Netz von jener gemeinsamen Erfahrung, die es einmal getragen hat. Eine apokalyptische Aussage wie «It's over» ist hingegen selbst ein Symptom des derzeitigen «Slops» – ganz ohne KI.