Russland hat seit dem Angriff auf die Ukraine und der darauf folgenden westlichen Unterstützung der ukrainischen Armee verschiedentlich mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. China rüstet im atomaren Bereich mittlerweile so stark auf, wie kein anderes Land. Und Nordkorea soll bereits über 60 Atomwaffen verfügen. Darauf reagieren die USA mit einer neuen Atomwaffenstrategie. Fredy Gsteiger, unser Fachmann für internationale Sicherheit, ordnet die neusten Entwicklungen im Konflikt der Grossmächte ein.
Was ist bekannt über die neue US-Atomwaffenstrategie?
Die USA investieren seit Jahren wieder mehr in die Atomrüstung. Das Programm begann 2016 noch unter Präsident Barack Obama und ist insgesamt etwa 1.5 Billionen US-Dollar teuer. Bisher ging es um Modernisierung: Tatsächlich ist das nukleare Arsenal der USA zum Teil betagt. Es besteht unter anderem aus Raketen aus den 1970er-Jahren und aus B52-Bomben aus den 1950er-Jahren. Gewisse Dinge müssen also ersetzt werden. Mit diesem Programm schafft man nun ohnehin die industriellen Ressourcen, die man auch für eine Vergrösserung gebrauchen könnte. Davon ist jetzt immer mehr die Rede.
Stimmen sagen: Die USA müssen atomar aufrüsten. Weshalb?
Dies wird mit der Tatsache begründet, dass Russland seit einigen Jahren nicht mehr willens ist, in neue nukleare Abrüstungsverhandlungen zu treten und gleichzeitig bestehende Verträge nicht mehr gelten. Vor allem aber geht es um die hartnäckige chinesische Weigerung, überhaupt nukleare Abrüstungsverhandlungen zu führen – in einer Phase, in der das Land sein Atomarsenal stark ausbaut. Die USA haben in Peking verschiedene Vorstösse lanciert, um China zu Verhandlungen zu drängen. China hat totales Desinteresse signalisiert. Es will weder Kontrolle noch Schranken oder Begrenzungen akzeptieren. Das Argument in Washington lautet: Wenn wir die Muskeln stärker spielen lassen und nuklear aufrüsten, zwingen wir Russland und China an den Verhandlungstisch.
Worauf basiert diese Annahme?
Genannt werden zwei historische Beispiele. Das eine 1979, als die USA und die Nato die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Europa beschlossen hatten. Das Resultat war, dass Russland zu Verhandlungen bereit war, die dann am Ende zu einem Abkommen führten, das die Vernichtung nuklearen Mittelstreckenwaffen vorsieht. Dieses Abkommen trat 1988 in Kraft. Das zweite Beispiel ist das «Star Wars»-Programm von Präsident Ronald Reagan: ein Abwehrschirm gegen russische Interkontinentalraketen. Dieses Programm zeigte der Sowjetunion, dass sie auf Dauer beim Wettrüsten nicht mehr mithalten konnte. Das, so die Argumentation, habe den Anfang vom Ende der Sowjetunion eingeleitet.
Kann dies gelingen?
Das ist die grosse Frage. Es gibt einen markanten Unterschied zum Ende des Kalten Krieges. Damals war sich die Sowjetunion ihrer Schwäche bewusst. Heute ist das ganz anders. China und Russland fühlen sich stark. China wirtschaftlich und zunehmend auch militärisch. Russland wegen seines Rohstoffreichtums. Dazu kommt: China und Russland haben zwar inzwischen noch keine formelle militärische Allianz, aber sie sind de facto immer mehr Alliierte. Diese enge Kooperation stärkt sowohl Moskau wie Peking. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, sich gegenseitig zu unterstützen. Das sorgt in beiden Staaten für enorm viel Selbstbewusstsein.