In London, in Paris, in Rom, in Sydney oder in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, insgesamt waren es 48'000 Gaza-Demonstrationen. Das zeigt eine Studie der Denkfabrik Acled, die sich auf das Sammeln von Daten zu Kriegen und Konflikten spezialisiert hat.
Gaza selber ist klein, doch der Gaza-Krieg war ein globales Ereignis. Eine derart überproportionale Reaktion ist einzigartig.
«Gaza selber ist klein, doch der Gaza-Krieg war ein globales Ereignis», sagt Clionadh Raleigh, die Präsidentin von Acled: «Eine derart überproportionale Reaktion ist einzigartig.»
Tatsächlich geht es bei Kundgebungen in aller Regel um innenpolitische Auseinandersetzungen und Forderungen. Aussenpolitische Themen mobilisieren erheblich weniger. So brachte etwa der russische Krieg gegen die Ukraine sogar in Europa weitaus weniger Menschen auf die Strassen als das Blutvergiessen in Gaza.
Den Grund für die enorme Anzahl von Gaza-Demonstrationen sieht Raleigh darin, dass dieser Konflikt alte Gegensätze und Streitigkeiten rund um Israel neu aufflammen liess.
Über 100 Demonstrationen in der Schweiz
Das lässt sich auch ablesen aus der geografischen Verteilung der Demonstrationen. Fast die Hälfte davon, nämlich rund 22'000 fanden im Nahen Osten selber statt, besonders viele im Jemen, wo sie vom Regime der Houthi-Milizen befeuert wurden, dann in Marokko, der Türkei oder im Iran. In Europa wurde 8300-mal demonstriert. In der Schweiz registrierte die Denkfabrik 111 Demonstrationen, mehr als die Hälfte allein in Genf und Lausanne.
Tausende von Gaza-Demonstrationen gab es auch in Afrika, Nordamerika und Asien, doch nur sehr wenige in Südamerika. In Israel selber fanden 233 Pro-Palästina-Demonstrationen statt.
99 Prozent der Demonstrationen friedlich
Einige Demonstrationen arteten aus, es kam zu Gewalt. Wie vergangenes Wochenende in Bern, als schon im Vorfeld radikale Kräfte den Ton angaben und am Ende Linksextreme die Kundgebung vollends kaperten.
Doch die ganz überwiegende Mehrheit, nämlich fast 99 Prozent, sei friedlich verlaufen, sagt Kieran Doyle, Forscher bei Acled. Entsprechend äusserte sich der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, kritisch zu Massnahmen, auch in Europa, um Demonstrationen zu verhindern oder einzuschränken.
Israel derweil isoliert
Bemerkenswert ist, dass ungleich weniger Manifestationen zugunsten Israels stattfanden. Am meisten gleich nach dem Terrorgrossangriff der Hamas, danach aber kaum noch. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu sprach das im September vor der UNO indirekt an. Anders als Israel selber, denke die Welt kaum noch an den 7. Oktober.
Jerusalems anschliessende Kriegsführung überlagerte die Erinnerung an den Hamas-Überfall weitgehend, sofern man als Massstab die Demonstrationsstatistik nimmt. Sie zeigt zudem, wie isoliert Israel mittlerweile ist und wie sehr der Gaza-Krieg vielerorts die Feindseligkeit gegenüber dem jüdischen Staat und oftmals gar den Antisemitismus verstärkt hat.