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Neue Offensive der Israelis «Noch immer befinden sich Hunderttausende in Gaza-Stadt»

Israel hat die lange angekündigte Offensive auf Gaza begonnen. Ziel sei es, die Hamas-Kräfte «auszuschalten», so die Armee. ARD-Korrespondent Julio Segador schildert die aktuelle Situation.

Julio Segador

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Julio Segador ist seit über 30 Jahren Radioreporter und Korrespondent des Bayrischen Rundfunks, der zur ARD gehört. Derzeit berichtet Segador für die ARD aus Tel Aviv.

SRF News: Was wissen Sie über den aktuellen Angriff der Israelis?

Julio Segador: Der Gürtel um Gaza, die grösste Stadt im Gazastreifen, wird immer enger. Die israelischen Truppen rücken aus Norden, Osten und Süden vor. Man erwartet einen Häuserkampf, einen Guerillakrieg. Der Druck auf die verbliebenen Hamas-Kämpfer nimmt zu – aber natürlich auch der Druck auf die Zivilbevölkerung. Denn noch immer befinden sich Hunderttausende in Gaza-Stadt.

Panzer im Rauch.
Legende: Die israelische Armee rückt von drei Seiten nach Gaza-Stadt vor. Es wird erwartet, dass sich die verbliebenen Hamas-Kämpfer erbittert verteidigen werden. Reuters/Amir Cohen

Das Militär geht von 3000 Hamas-Kämpfern aus. Wie kommt es auf diese Zahl?

Das ist eine Schätzung. Zu Beginn des Krieges im November 2023 war die Armee von bis zu 30'000 Hamas-Kämpfern ausgegangen. Womöglich hat man jetzt ausgerechnet, wie viele von ihnen inzwischen getötet worden sind, und so kommt man auf rund 3000 verbliebene Kämpfer. Das zeigt: Die Einnahme von Gaza-Stadt wird alles andere als einfach.

Was bedeutet die israelische Offensive für die Zivilbevölkerung?

Sie kann sich im Grunde kaum verstecken, die Menschen sind mittendrin. Hinzu kommt die Kriegstaktik der Terrororganisation Hamas: Sie nistet sich in zivilen Bereichen ein, um von dort aus Israel zu beschiessen oder gegen das israelische Militär zu kämpfen.

Israel kalkuliert mit ein, dass immer wieder zivile Opfer zu beklagen sind.

Für die israelischen Soldaten ist es so sehr schwierig, Kämpfer von Zivilisten zu unterscheiden. Entsprechend viele zivile Opfer sind auf palästinensischer Seite zu beklagen. Man muss aber auch sagen, dass das israelische Militär diese Kriegsführung akzeptiert – und damit einkalkuliert, dass immer wieder zivile Opfer zu beklagen sind.

Wo befinden sich denn die 350’000 Palästinenserinnen und Palästinenser, die aus der Stadt geflüchtet sind?

Sie sind unterwegs in einem langen Treck in Richtung Süden des Gazastreifens, nach Al-Mawasi. Das ist eine der von Israel so bezeichneten «Sicherheitszonen». Allerdings haben sich diese Gebiete in der Vergangenheit nicht als wirklich sicher erwiesen. In Al-Mawasi sollen die Leute versorgt werden. Doch in dem Gebiet befinden sich jetzt schon sehr viele Flüchtlinge. Es wird eine riesige Herausforderung werden, Hunderttausende von Menschen zu versorgen.

Zeltstadt von Angehörigen in Jerusalem

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Zivilisten diskutieren mit Soldaten.
Legende: Reuters/Ronen Zvulun

Angehörige der noch immer von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln haben ein Zeltlager in Jerusalem, vor der Residenz von Premier Benjamin Netanjahu, aufgeschlagen. Am Dienstagmorgen bekräftigten sie vor den Medien ihre Überzeugung, dass die israelische Kriegsführung die Geiseln opfert – für den Kurs der rechten Regierung von Netanjahu. Die Mutter eines jungen Mannes, der seit über 700 Tagen in der Hand der Hamas ist, sagte: «Wie kann es sein, dass ein einziger Mann (Netanjahu) darüber entscheidet, wer für diesen Krieg geopfert wird?»

Wie reagiert die israelische Bevölkerung auf die neuesten Angriffe auf Gaza?

Das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung steht nicht im Vordergrund. Dafür sind die Wunden, die der 7. Oktober 2023 hinterlassen hat, noch viel zu tief. Die Empathie der Israelis gilt vor allem den offiziell 48 Geiseln, die immer noch im Gazastreifen festgehalten werden. Wie viele von ihnen noch leben, weiss niemand. Schätzungen gehen davon aus, dass noch 20 Personen am Leben sind. Deshalb fordern weite Teile der israelischen Bevölkerung einen Deal mit der Hamas, damit der Krieg ein Ende findet und die noch lebenden Geiseln zurückkehren.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Rendez-vous, 16.9.2025, 12:30 Uhr ; 

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