Die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Polen waren am Wochenende zu Besuch beim ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenski. Sie sehen sich als Teil der «Koalition der Willigen», die der Ukraine im Krieg gegen Russland beistehen. Fredy Gsteiger erläutert die wichtigsten Fragen zum Besuch von Macron, Merz, Starmer und Tusk in Kiew.
Warum waren Merz, Macron, Starmer und Tusk gemeinsam vor Ort?
Es ging darum, Solidarität mit der Ukraine auszudrücken. Erstmals mit dem neuen deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz an Bord. Und nicht zufällig fast gleichzeitig mit der Feier zum Sieg über Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zu dem Präsident Wladimir Putin seine Unterstützer nach Moskau eingeladen hatte, allen voran Chinas Staatschef Xi Jinping.
Wie bedeutungsvoll war das Treffen in Kiew?
Es ist bedeutend für die Ukraine und ihre Bevölkerung. Diese braucht auch symbolische Rückenstärkung durch ihre Freunde, zumal sie militärisch durch Russlands Vormarsch immer stärker unter Druck gerät. Ausserdem erhoben Macron, Merz, Starmer und Tusk die konkrete Forderung nach einem zunächst mindestens 30-tägigen Waffenstillstand ab Montag. Die Ukraine möchte das. Sollte Russland nicht darauf eingehen, drohen die Europäer Moskau mit deutlich schärferen Sanktionen – im Finanzbereich, im Rohstoffbereich oder gegen seine Schattenflotte.
Und welche Rolle nimmt die USA ein?
Eine wichtige, denn es kommt nicht zuletzt darauf an, ob die Regierung von US-Präsident Donald Trump auf die Seite Russlands wechselt oder doch noch bereit ist, die Ukraine – in welchem Umfang auch immer – weiter zu unterstützen und nicht fallenzulassen. Deshalb haben die europäischen Staats- und Regierungschefs während ihres Besuches mit Trump telefoniert und versucht, ihn wieder ein bisschen auf ihre Seite zu ziehen.
Haben die europäischen Staaten und die USA in Sachen Ukraine-Krieg wieder zusammengefunden?
Wirklich zusammengefunden haben sie nicht. Aber Trump hat gemerkt, dass Putin ihn bloss hinhält. Der Kremlchef macht keinerlei Zugeständnisse und will möglicherweise gar keinen Frieden. Trump kann aber jederzeit wieder umschwenken. Möglicherweise hat er das im Ukraine-Konflikt bereits erneut getan, indem er Putins Vorschlag, am Donnerstag sollten direkte russisch-ukrainische Gespräche in Istanbul stattfinden, lobte und von einem «möglicherweise grossen Tag» sprach. Dies, obschon Moskau bei keinem einzigen Thema Kompromisswillen erkennen lässt und sich auch gegen eine 30-tägige Waffenruhe stellt.
Ohne 30-tägige Waffenruhe keine Gespräche – das fordert Selenski. Wie verhält es sich damit?
Die Forderung ist plausibel. Echte, vertrauensvolle Gespräche sind undenkbar, wenn Russland gleichzeitig seinen Vormarsch auf ukrainischem Territorium fortsetzt. Wie an diesem Wochenende: Russland hat über hundert Drohnen und andere Waffen auf die Ukraine abgefeuert, nicht zuletzt auf die Zivilbevölkerung. Es scheint, dass Russland zu einer Waffenruhe überhaupt nicht bereit ist. Denn militärisch im Terrain läuft es für die Russen gut. Sie rücken zwar langsam, aber beständig vor und erobern weiter ukrainischen Boden. Und sie sind überzeugt, vermutlich zu Recht, den längeren Atem zu haben.