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Ukraine plant Schwarmangriffe Marschflugkörper «Flamingo»: Wie gefährlich ist die Wunderwaffe?

Die Ukraine sorgt mit einem Marschflugkörper namens «Flamingo» für Aufsehen. Er soll rund 3000 Kilometer fliegen und grosse Zerstörung anrichten können. Militärexperte Gustav Gressel über das Potenzial der Waffe.

Gustav Gressel

Militärexperte

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Gressel ist Hauptlehroffizier und Forscher an der Landesverteidigungsakademie des österreichischen Bundesheers in Wien.

SRF News: Welche Möglichkeiten eröffnen die neuen Marschflugkörper der Ukraine?

Gustav Gressel: In erster Linie erlauben sie es der Ukraine, in die verteidigungsindustrielle Tiefe Russlands zu gehen. Mit den Marschflugkörpern können gute Teile der russischen Rüstungsanlagen und der Förder- und Verarbeitungsanlagen für Erdöl und Erdgas angegriffen werden. Diese sind für die Finanzierung des Krieges wichtig.

Die Verwundbarkeit ist hoch und die Missionen müssen gut geplant werden.

Der Gefechtskopf wiegt eine Tonne. Dadurch ist er ungleich letaler als die Angriffsdrohnen, die wir in der Vergangenheit gesehen haben. Diese tuckern mit 200 km/h dahin und bringen einen 50 Kilo schweren Gefechtskopf ins Ziel. Hier ist bereits jede bessere Betonwand ein undurchdringliches Hindernis. Das soll sich mit dem Flamingo ändern.

Flamingo-Marschflugkörper
Legende: Der Flamingo soll etwa 700-800 km/h schnell sein und bringt eine «enorme Wucht beim Einschlag», wie es Militärexperte Gressel ausdrückt. Keystone/AP/Efrem Lukatsky

Eine Einschränkung gibt es aber: Für Schläge in die Tiefe braucht man eine gute Aufklärung über die russische Luftwaffe und Fliegerabwehr. Schliesslich fliegt ein sechs Tonnen schweres Gerät nicht eng am Boden und ist im Radar relativ weit sichtbar, vergleichbar mit einem Flugzeug. Die Verwundbarkeit ist hoch und die Missionen müssen gut geplant werden.

Die Ukraine will die Marschflugkörper erst einsetzen, wenn sie genügend produziert hat, um eine grosse Zahl davon abfeuern zu können. Ist das taktisch klug?

Mit kleineren Drohnen handhabt es die Ukraine ebenfalls so. Im Schwarm ist es immer einfacher, dass eine gewisse Anzahl an Flugkörpern durchkommt, selbst wenn sie entdeckt werden. Dazu kommt, dass man eine Schockwirkung beim Gegner hervorrufen will. Den Russen wird es damit auch erschwert, die Schwachstellen des neuen Kampfmittels zu analysieren, bevor es in grosser Zahl eingesetzt wird.

Wie beurteilen Sie das derzeitige Geschehen an der Front?

Die russische Sommeroffensive wird noch einige Zeit andauern. Allerdings sind die russischen Kräfte an einigen Frontabschnitten schon ziemlich erschöpft. Wenn die Russen in den kommenden Wochen keine Rotation zustande bringen, könnte es an einigen Frontabschnitten stiller werden. Ansonsten ist davon auszugehen, dass die Lage ab Oktober etwas ruhiger wird. Das Wetter wird schlechter und das Drohnenfliegen aufgrund der Herbststürme und des Regens schwieriger.

Russland kann mehr Freiwillige und Söldner anwerben, um die ‹Blutpumpe› aufrechtzuerhalten.

Wenn es Russland gelingt, abgekämpfte Verbände zu ersetzen, könnte es im Winter die Offensive wieder aufnehmen. Dann ist der Boden gefroren, die Bäume haben ihr Laub verloren und die Drohnen sehen wieder mehr. Die Ukrainer wiederum kämpfen immer noch mit Nachschubproblemen und sind in vielen Munitions- und Fahrzeugklassen vom Westen abhängig.

Wie ist Ihre Prognose für den weiteren Kriegsverlauf?

Das Abnützungsverhältnis spricht dafür, dass Russland den Krieg über sehr lange Zeit gewinnen kann. Auf ukrainischer Seite ist der Nachschub rarer und Russland kann mehr Freiwillige und Söldner anwerben, um die «Blutpumpe» aufrechtzuerhalten. Die Sache ist aber noch lange nicht entschieden.

Es wird zum grossen Teil auch davon abhängen, wie sich die Europäer aufstellen. Will man sich weiter von Donald Trump über das nächste Stöckchen treiben lassen? Oder stellt sich eine Unterstützung ein, die es den Ukrainern erlaubt, die Front besser zu halten und Druck auf die Russen auszuüben? Ob diese Bemühungen Früchte tragen, wird man im Laufe des nächsten Jahres sehen.

Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.

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Echo der Zeit, 27.08.2025, 18 Uhr ; 

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