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Städte kritisieren Bund Schweizer Städte wollen mehr afghanische Flüchtlinge aufnehmen

Im Alleingang dürfen sie aber nicht, weil es die Bundesvorgaben nicht erlauben. Zürich, Genf und Bern machen nun Druck.

Seit gestern ist klar: Der Bund will vorerst nur die 230 Angehörigen der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) vor Ort in die Schweiz holen. Mehr Geflüchtete aus Afghanistan aufnehmen will die Landesregierung im Moment noch nicht.

Die Schweiz und ihre Massnahmen für Afghanistan

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Karin Keller-Sutter
Legende: Der Bundesrat informierte zur Lage in Afghanistan. Keystone

Aufgrund ihrer Tätigkeit seien die lokalen Angestellten des DEZA-Kooperationsbüros in Kabul möglicherweise einer Bedrohung ausgesetzt und könnten als Kollaborateure verfolgt werden, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter zum Aufnahmeentscheid. Trotz anderslautender Ankündigungen der Taliban-Führung müsse die Schweiz davon ausgehen, dass diese Ortskräfte an Leib und Leben bedroht seien. Also erhalten diese 230 Afghaninnen und Afghanen humanitäre Visa.

Die Schweiz werde ihnen deshalb im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht ein humanitäres Visum ausstellen, bis die Sicherheit in ihrer Heimat wieder gewährleistet sei. Das EJPD habe beschlossen, die Aufnahme der rund 230 Personen dem vom Bundesrat für das Jahr 2021 genehmigten Resettlement-Kontingent von 800 Personen anzurechnen.

Keller-Sutter nahm zugleich Stellung zur lauter werdenden Forderung, grössere Personengruppen als Resettlement-Flüchtlinge in der Schweiz aufzunehmen. Dies sei allerdings allein aufgrund der instabilen Lage nicht möglich: «Das UNHCR hat bisher nicht einmal das Bedürfnis erheben können.»

Anders wollen das die grossen Schweizer Städte: Sie pochen darauf, mehr Menschen aufzunehmen. So kommen beispielsweise aus Genf klare Worte von Stadtpräsidentin Frédérique Perler: «Die Schweiz kann nicht tatenlos zusehen und soll mehr Geflüchtete direkt aus Afghanistan aufnehmen.»

Frédérique Perler
Legende: Die Genfer Stadtpräsidentin Frédérique Perler sieht sich in der Verantwortung der schweizerischen humanitären Tradition. Keystone/Archiv

Gleiche Stimmen werden auch aus Bern laut. Stadtpräsident Alec von Graffenried sagt: «Wir sehen alle die Bilder, wir hören die Nachrichten aus Afghanistan und sind sehr beunruhigt. Demzufolge denken wir, dass es an der Zeit ist, dass der Bundesrat handelt und wir werden den Bundesrat auch zum Handeln auffordern.»

Bund will vorerst 230 Personen aufnehmen

230 Personen will der Bund aufnehmen. Es sind jene Personen aus Afghanistan, die mit dem DEZA in Verbindung stehen. Die Zahl erfolgt im Rahmen des bereits bestehenden Kontingents. Zu wenig, tönt es unisono aus Städten.

Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried
Legende: Alec von Graffenried ist Stadtpräsident in Bern und sagt dazu: «Diese Massnahme ist sicher nötig, aber es geht natürlich viel zu wenig weit.» Keystone/Archiv

Der Berner Stadtpräsident von Graffenried weiter: «Wir denken, es geht nicht darum, jetzt den bestehenden Rahmen zu erarbeiten, sondern es hat sich eine neue Situation ergeben und demzufolge müssen jetzt neue Mittel ergriffen werden.»

Wie bei der Allianz für Moria

Vor knapp einem Jahr stand das griechische Flüchtlingslager «Moria» in Flammen. Ein Bund der grössten Schweizer Städte forderte bereits da die Möglichkeit, Flüchtlinge selbst direkt aufzunehmen. Rechtlich nicht möglich, hiess es damals vom Bundesrat.

Zürcher Stadtrat Raphael Golta
Legende: Golta ist SP-Stadtrat in Zürich und sagt: «Die Erfahrung zeigt, wo ein politischer Wille vorhanden ist, da ist auch ein Weg.» Keystone/Archiv

Noch immer unverständlich, findet der Zürcher Stadtrat Raphael Golta: «Wir können nicht das Bundesrecht umgehen, aber wir fordern vom Bund grundsätzlich die Möglichkeit ein, dass willige Städte hier mehr tun können. Es geht hier speziell um die Fortschreibung der schweizerischen humanitären Tradition und wie wir in diesem Fall einen Beitrag leisten können.»

Was sagt die angesprochene Bundesrätin?

Karin Keller-Sutter sagt: «Man muss einfach einsehen, dass im Moment niemand aus Afghanistan ausreisen kann.» Aktuell könne nicht einmal das UN-Flüchtlingshilfswerk arbeiten.

Die Diskussion sei also zu früh, sagte sie vor den Medien. Klar ist einzig: Der Druck der Städte, mehr für die Menschen in Afghanistan zu tun, wird bleiben.

HeuteMorgen, 19.08.2021, 6 Uhr

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