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Schweiz unter Druck der USA Geschwisterstreit der «Sister Republics» – keine neue Erfahrung

Es jagen sich die Krisensitzungen. Unterhändler reisen nach Washington. Der Druck steigt. Jetzt im Zollstreit wiederholt sich die Geschichte. Immer wieder stand die Schweiz unter Druck aus den USA. «Wenn es um ihre vitalen Interessen ging, bauten die Amerikaner massiven Druck auf», sagt der Historiker Sacha Zala. Er leitet die Forschungsstelle «Diplomatische Dokumente der Schweiz». Meist haben sich die USA durchgesetzt. Eine Reise durch fünf schweizerisch-amerikanische Krisenperioden:

1. Die Stunde null nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland stand die Schweiz isoliert da. Die westlichen Alliierten warfen ihr vor, während des Krieges Raubgold gekauft und enge Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland unterhalten zu haben.

Drei ältere Männer im Anzug an einem Tisch, schwarz-weiss.
Legende: Der Schweizer Unterhändler Walter Stucki (Mitte) in Washington: Auf Druck der USA musste die Schweiz ein «Bussgeld» zahlen für ihr Verhalten während des Zweiten Weltkriegs. Photopress-Archiv

Die USA blockierten Guthaben und führten Schwarze Listen mit Schweizer Firmen und Privatpersonen. «Die Schweiz war in einer fast ausweglosen Situation», sagt Historiker Zala. 1946 einigten sich die Schweiz und die westlichen Siegermächte: Die Schweiz musste 250 Millionen Franken für den Wiederaufbau zahlen. Geholfen hatte der Schweiz die Weltlage. Der Kalte Krieg begann und die Westmächte wollten die Schweiz als Verbündete einbinden.

2. Neutralität unter Druck: Hotz-Linder-Agreement gegen die Sowjetunion

1951 – die Konfrontation zwischen Ost und West spitzt sich zu. Die USA verlangen von der Schweiz, dass sie sich den Handelssanktionen gegen die «Ostblock-Staaten» anschliesst. Ansonsten würden ihr selbst Sanktionen drohen.

Stalin steht an einem Rednerpult und zeigt zum Himmel. Hinter ihm stehen Menschen, die ihn anschauen und bewundern.
Legende: Sowjetisches Propagandaplakat von 1951: Im Kalten Krieg war die Schweiz gezwungen, Farbe zu bekennen. Russian State Library

«Da musste sich der Bundesrat zähneknirschend in diese Sanktionen einfügen», sagt Zala. Die Unterhändler Harold Linder (USA) und Jean Hotz (Schweiz) einigten sich auf eine entsprechende informelle Absprache. Die Übereinkunft sei in Bezug auf die Neutralität heikel gewesen, so der Historiker.

«Sister Republics» – Schwesterliebe vs. Machtpolitik

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Die Schweiz und die USA bezeichnen sich gerne als «Sister Republics». Schliesslich liessen sich die Gründerväter der USA unter anderem von Schweizer Denkern inspirieren. Die Gründer des modernen Schweizer Bundesstaats liessen sich von den USA inspirieren und übernahmen zum Beispiel das Zwei-Kammer-System.

Machtpolitik vor Schwesterliebe

Diese «Seelenverwandtschaft» habe die USA aber nie davon abgehalten, knallhart ihre Interessen gegenüber der Schweiz durchzusetzen, sagt Historiker Sacha Zala.

Für ein Land wie die Schweiz seien internationale Regeln besonders wichtig. In entscheidenden Momenten habe sich die Schweiz aber nicht blind auf Abmachungen verlassen können. «Eine Lehre ist, dass man Situationen mit der Nüchternheit der Machtpolitik analysieren muss», so Zala.

3. US-Zollhammer von 1954 stürzt Uhrenindustrie in Krise

Der Entscheid traf den Jurabogen mit seinen Uhrenfabriken hart: Die USA führten Zölle von 53 Prozent auf Schweizer Uhren ein. Möglich machte es eine Ausnahmeklausel im für die Schweiz wichtigen bilateralen Handelsvertrag.

Arbeiterinnen und Arbeiter an einem langen Arbeitstag mit Brillen und Lupen.
Legende: Blick in die Uhren-Manufaktur bei der Firma Ebauches um 1960: Die Uhrenindustrie erlitt 1954 ihren ersten «Zollschock». Photopress-Archiv

1950 hatten die USA die Schweiz gezwungen, die Klausel zu akzeptieren. Der «Uhren-Zollhammer» liess die Exporte von Uhren in die wirtschaftlich äusserst wichtigen USA um ein Drittel einbrechen. Erst 1967 nahmen die USA die Zölle zurück.

4. Die nachrichtenlosen Vermögen und der Milliarden-Vergleich

In den 1990er-Jahren wurde die Schweiz von der Vergangenheit eingeholt. Mit Unterstützung der US-Administration erhoben jüdische Organisationen schwere Vorwürfe. Der Wichtigste: Schweizer Banken hätten Vermögen von Holocaust-Opfern einbehalten. Hinzu kam der nach dem damaligen US-Unterstaatssekretär benannte Eizenstat-Bericht: Dieser kritisierte das Verhalten der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs.

Drei Männer im Anzug sitzen an einem Tisch mit vielen Dokumenten darauf.
Legende: Die Schweiz unter Druck: Task-Force-Leiter Thomas Borer (links) 1997 in New York mit US-Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat (Mitte) und US-Senator Alfonse D’Amato (rechts). Keystone/David Karp

Der Bundesrat machte Botschafter Thomas Borer zum Leiter einer Task-Force und setzte eine Historiker-Kommission (Bergier-Kommission) ein. UBS und Credit Suisse willigten schliesslich ein, Entschädigungen in der Höhe von 1.25 Milliarden Dollar an Holocaust-Opfer zu zahlen.

5. Der Steuerstreit – und wieder eine Milliarden-Zahlung

Berichte über Steuerbetrug von US-Kunden führen 2008 zu einem jahrelangen Streit und letztlich zum Ende des Bankgeheimnisses.

Unter massivem Druck aus Washington übergab die Schweiz den USA die Namen Tausender angeblicher Steuersünder. Später einigten sich die Banken mit den US-Behörden auf Zahlungen. Am meisten zahlte die Credit Suisse: 2.6 Milliarden Dollar.

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10vor10, 4.8.2025, 21:50 Uhr;brus

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