Ein orgastischer Tschaikowski und eine brennende Oper: 2025 zeigte sich die Klassikszene besonders lebendig. Die SRF-Musikredaktion blickt zurück auf die Highlights und auf eine enttäuschte Erwartung.
Top 1: Beat Furrers sinnliche Klima- und Kolonialismusoper am Opernhaus Zürich
Zehn Jahre liess der bedeutende schweizerisch-österreichische Komponist Beat Furrer mit einer neuen Oper auf sich warten. Es hat sich gelohnt: «Das grosse Feuer», von Furrer selbst dirigiert, überzeugt restlos. Die politische Oper spielt in einem nicht mehr intakten Regenwald im Norden Argentiniens. Ein indigenes Volk ist durch Kolonialismus und Missionierung seiner kulturellen Wurzeln beraubt. Natur- und Menschenwelt treffen aufeinander. Der Text mischt Vision, Traum und Wirklichkeit – die Musik ist farbenreich, geräuschhaft und sinnlich. Ein eindringliches Werk zu wichtigen Zeitfragen, das alle Sinne fordert. (Gabrielle Weber)
Top 2: Mahler Chamber Orchestra am Lucerne Festival
Meine musikalische Sternstunde: Das Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von Maxim Emelyanychev am diesjährigen Lucerne Festival mit Tschaikowskis Fünfter. Der Dirigent ist ein Phänomen: Er dirigiert ohne Stab, steht auch auf keinem Podest. Und kann sich so viel freier bewegen. Er scheint regelrecht zu tanzen, formt von innen her, musiziert mit dem Orchester. Seine kreativen Spontaneinfälle und seine Leidenschaft erreichen das Orchester direkt und unverstellt. So klingt denn diese Fünfte von Tschaikowski nicht wie ein romantischer Koloss, sondern wie ein lebendiger Organismus, atmend und vielschichtig. (Annelis Berger)
Top 3: Boulez-Schwerpunkt zum 100. Geburtstag beim Lucerne Festival
Pierre Boulez, einer der wegweisendsten Avantgardisten der Musikgeschichte, stammte aus dem Dorf Montbrison. Das Lucerne Festival ehrte ihn dieses Jahr im Rahmen der von ihm etablierten Academy mit einer Retrospektive: von den ersten Klavierstücken Notations bis zur epochemachenden Raumkomposition Répons – dem Lieblingsstück von Hans Messner, mit welchem er mehr als 40 Jahre zusammenlebte. Ein Höhepunkt war die zweite Uraufführung von Poésie pour pouvoir, einem Stück mit avancierter Elektronik, das zu Lebzeiten Boulez' noch nicht zu dessen Zufriedenheit realisiert werden konnte. (Moritz Weber)
Top 4: Robert Oboussier – ein (fast) vergessener Komponist
Der Komponist Robert Oboussier war eine bekannte, schillernde Zürcher Persönlichkeit. 1957 wurde er ermordet. Doch nur wenige Tage nach seinem Tod wurde sein Name und seine Musik aus dem kollektiven Bewusstsein gestrichen. Der Grund dafür: Es wurde bekannt, dass Oboussier schwul war. Damals undenkbar. Fast 70 Jahre später holt ein Projekt des Komponisten Ramon Bischoff Oboussier zurück ins Rampenlicht. Da gehört er auch hin: Seine Musik klingt geheimnisvoll farbig, voller strotzender Individualität. (Oliver Rutz)
Flop des Jahres: Orchestre de Paris, Klaus Mäkelä: Symphonie fantastique von Berlioz/La valse von Ravel
Bei dieser Kombination waren die Erwartungen hoch: ein bereits zuhauf eingespieltes Schlachtross der Musikgeschichte (die «Symphonie fantastique» von Hector Berlioz), ein Spitzenorchester (das Orchestre de Paris) und ein gehypter Stardirigent (der 29-jährige Finne Klaus Mäkelä). Aber sie wurden enttäuscht: An dieser Neuinterpretation ist wenig neu. Viele Kritikerinnen und Kritiker fanden: Das Orchester spielt zwar präzise und farbenreich. Aber diese Aufnahme ist zahm. Ihr fehlt die Spannung, die Vision. (Theresa Beyer)